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Hinterfotzing

Als das Fax kam

Das Ende der Gemütlichkeit

Jedes Lebensjahr überlässt unweigerlich ein gelebtes Jahr der Erinnerung und bereichert das Erinnerungspotential. So kann man mit 53 Lebensjahren zwar nicht auf dreiundfünfzig Erinnerungsjahre zurückgreifen, aber immerhin auf 47+. Vor dem sechsten Lebensjahr sind die Erinnerungen sehr selektiv aufgezeichnet, weil in diesem zarten Alter die Sortier- und Gewichtungsmechanismen noch zu wenig ausgeprägt sind.  Ich weiß noch, dass es zu meinem Schulbeginn in unserer Straße zwei Autos gab und zwei Fernseher, natürlich schwarz-weiß. Die Anzahl der Telefonanschlüsse wird wohl auch auf gleichem Niveau gewesen sein. Den Personal-Computer gab es noch lange nicht und auch keine Handys. Es gab kein Internet und kein Facebook. Die Erfinder von Google machten noch nicht mal in die Hose. Unsere Straße war noch nicht asphaltiert und wurde im Winter nicht geräumt. Auch das Fax gab es nicht, damals wurden noch fleißig Briefe geschrieben, persönlich, fein säuberlich, mit Hand. Eine Kunst, die weitgehend in Vergessenheit geriet. Man wird künftig wohl kaum mehr interessante Briefwechsel heute lebender Personen veröffentlichen können. Zwar wird heute viel mehr geschrieben, aber es bleibt wohl nichts davon übrig.

Ein Brief brauchte in der Regel zwei Tage vom Aufgeben bei der Post bis zur Zustellung. Im Arbeitsleben sorgte das für einigermaßen Gemütlichkeit. So hatte ein Beschaffungsvorgang seinen Vorlauf. Anfrage per Post, Angebot per Post, Auftrag per Post, das war auf alle Fälle länger als eine Woche und man hatte diese Zeit zur Verfügung, es durfte so lange dauern, weil Material auf Vorrat eingekauft wurde. Kaum mehr vorstellbar, aber Betriebe hatten damals ein Lager, auch um auf Lieferverzögerungen vorbereitet zu sein. Obwohl die Betriebe ziemlich viel Geld im Materialvorrat liegen hatten, ging es ihnen besser als heute. Heute wird Material schon verbaut, bevor es überhaupt bezahlt ist, weil es meist vorher gar nicht bezahlt werden könnte.
Aber durch das Fax ist alles anders geworden. Plötzlich hieß es: "Schicken Sie mir das bitte per FAX!" Ein Fax war - den Sendevorgang mal unberücksichtigt - sofort an jedem beliebigen Ort. Eigentlich sogar schneller als eine heutige E-Mail, weil die ja erst beim Öffnen des Postfaches ankommt. Das Fax machte dem Berufsleben Beine. Plötzlich waren die zwei Tage Postweg weg, geklaut. Plötzlich musste alles ganz plötzlich gehen. Anfrage, Angebot, Auftrag, alles an einem Tag oder in nur wenigen Stunden. Nichts hat das Bürodasein mehr beschleunigt, als das Fax. Vor dem Fax gab es kein Burn-Out-Syndrom, jetzt muss man sich fast schämen, wenn man keins hat. Sich für etwas Zeit nehmen und Zeit lassen können, das sind Dinge, die aus dem Berufsleben gründlich verdrängt wurden. Da gingen sie für die 35-Stunden-Woche auf die Straßen und dann wurden die 35-Stunden mit mehr als 40 Stunden Inhalt gefüllt.

Fast ist das Fax in Vergessenheit geraten, wurde vom E-Mail verdrängt. Schwer zu sagen, was als nächstes erfunden wird, aber es wird bestimmt etwas noch schnelleres sein. Vielleicht ein Nachrichtensystem, bei dem die Nachricht schon vor dem Senden ankommt, oder vor dem Schreiben. Mit der Langsamkeit verschwand auch der Stil. Ein geschliffener Geschäftsbrief mit schöner Einleitung und persönlichem Schuss, dafür ist keine Zeit mehr. Keine Zeit mehr für Schönheit, keine Zeit mehr übrig, immer emsig wie die Ameisen dem Burn-Out entgegenhetzen. Die Hektik des Arbeitslebens hat längst das Privatleben infiziert. Freizeitstress heißt die Pandemie, die sich in allen Industriestaaten explosionsartig ausgebreitet hat. Das extrem aggressive Zeitverplanvirus ist bis in die Kinderzimmer vorgedrungen und frisst sich mit Heißhunger in das Freizeitpotential der Kinder, bis nur mehr eine leere, inhaltslose Hülle da ist. Immerhin können die kleinen dann schon mit einem anfänglichen Burn-Out-Syndrom prahlen. Und die Eltern sind sehr stolz, weil sie lauter hochbegabte Kinder haben, die schon mit drei Jahren durch 200 Fernsehkanäle zappen können und bei Google Seiten finden, von denen die Eltern keine Ahnung haben.
Man hat nicht wissen können, dass es so weit kommt, als die ersten Faxgeräte in den Büros aufgestellt wurden, denn sonst hätte man die Faxe damals alle samt erschlagen müssen.