Die Mehrheit
Die Mehrheit ist dann gegeben, wenn man eine Stimme mehr hat als die Hälfte. Und die Mehrheit der Mehrheit besteht mindestens aus der Hälfte plus eins von der Hälfte plus eins. So gesehen kann also ein Viertel plus eins die Mehrheit sein.Das stimmt zwar mathematisch nicht, aber es entspricht der Realität, leider.
Nehmen wir einen Gemeinderat, der sich aus zwei Parteien zusammensetzt. Eine Partei hat elf Mandate, die andere nur zehn. Jede dieser Gruppen bezeichnet man als Fraktion. Natürlich bekommt die Fraktion mit den elf Mandaten immer Recht, wenn sie sich einstimmig verhält. Das regelt das Gesetz der Mehrheit. Damit sich die Mehrheit einstimmig verhalten kann, braucht es eine Regelung innerhalb der Mehrheit. Denn ohne einstimmiges Verhalten würde die Mehrheitsfraktion eventuell nicht Recht bekommen. Man nennt so eine Situation berechtigterweise einen Zwang. Setzt man den Zwang nun in Bezug zur Situation der Fraktion, dann ergibt sich ein Fraktionszwang. Der besagt also, dass die Fraktion einen gewissen Zwang hat, sich einheitlich zu verhalten, will sie Recht bekommen. Also muss sich innerhalb der Fraktion auch eine Mehrheit bilden, die über die Minderheit der Fraktion bestimmt. Bei unserem Zahlenbeispiel wären das sechs Fraktionsmitglieder. Sechs Gemeinderäte bestimmen also über elf und elf über einundzwanzig. Stellt man die bestimmende Gruppe der Gesamtheit gegenüber, dann bestimmen sechs über einundzwanzig. Für mathematisch begeisterte Menschen: Weniger als ein Drittel (28,6%) dominieren den gesamten Gemeinderat.
Jetzt rein hypothetisch angenommen, der Gemeinderat bestünde aus Läufern und Mitläufern. Wobei in der Realität meist die Krakeeler zu den Mitläufern zählen, wenn es drauf ankommt. Und in der Gruppe der dominierenden Sechs wären drei Mitläufer, dann würde diese Gruppe eigentlich von drei Leuten bestimmt. Wenn sich von diesen dreien zwei einig sind, ist der dritte überstimmt und wird sich fraktionskonform verhalten, wodurch die drei Mitläufer auch einschwenken, damit die Fraktion dominieren und – Sie haben es sicher schon erraten – auch den einundzwanzigköpfigen Gemeinderat. Damit hat sich das Verhältnis derer, die ihre Anträge im Gemeinderat durchsetzen können auf 9,5% reduziert, während 90,5% entweder an der anderen Fraktion oder an der Minderheitssituation in der Mehrheitsfraktion scheitern. Insofern ist es ohne Belang, ob gute Anträge aus der Minderheitsfraktion kommen oder aus der Minderheit der Mehrheitsfraktion. Und die schlechtesten Anträge gehen durch, wenn sie aus der Mehrheit der Mehrheit der Mehrheitsfraktion kommen. Die übrigens umso kleiner sein kann, umso mehr Mitläufer in der Mehrheitsfraktion eines Gemeinderats sitzen.
Aber nicht der Gemeinderat macht einen Mitläufer zum Mitläufer, sondern die Mitläufer werden von den Wählern gewählt. Woraus sich der Schluss ergibt, dass der Wähler eine gewisse Anzahl von Mitläufern im Gemeinderat haben will, damit sich Mehrheiten mit möglichst kleinen Minderheiten bilden lassen. Warum der Wähler auch eine Minderheitsfraktion haben will, die sich ohnmächtig von der Mehrheit der Mehrheit überstimmen lassen muss, ist eines jener Geheimnisse, die innerhalb der Wahlkabine gehütet bleiben.