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Hinterfotzing

Fastenzeit

40 nutzlose Tage

Ich mochte sie noch nie, die Fastenzeit. Auf Dinge verzichten, um in irgend einem Sinn weiter zu kommen. Wohin? Viele Zeitgenossen nehmen die Skala der Personenwaage ins Visier und trotzen sich in den vierzig Fastentagen möglichst viel Gewicht herunter, nur um dann in den Genuss des Jojo-Effekts zu kommen. Die katholische Kirche wird nicht müde, in den vierzig Tagen des Leidens Christi zu gedenken, das, stimmt die Bibel, von Gründonnerstagabend bis Karfreitag um 15 Uhr dauerte, also circa 20 Stunden. Erstaunlich, dass die Kirche diesen zwanzig Stunden vierzig Tage des Jahres widmet. Damit eigentlich die Lebenszeit Jesu total verzerrt. Aber so ist das auch mit dem Kreuz, das Jesu vermutlich einen halben Tag erdulden musste. Genau das wurde zu seinem Symbol gemacht. Nicht das Weizenkorn oder der Wein zu Kanaa oder die Fische von Tiberias. Warum entsagen Mönche der Welt? War es nicht die Welt, in der Jesus lebte. Welchen Sinn hatte der Tod Jesu? Welchen Sinn hat Tod überhaupt? Das menschliche Leben ist begrenzt und hätte Jesus die etablierte Kirche von Jerusalem nicht maximal brüskiert und mit der Vertreibung der Geldwechsler und Händler vom Tempelvorplatz das Kirchensteueramt angegriffen, wäre er wohl nicht hingerichtet worden und eines natürlichen Todes gestorben, da Jesus vermutlich in seinem dreiunddreißigsten Lebensjahr starb, hätte er nach damaliger Lebenserwartung noch  zwanzig bis dreißig Jahre leben können und seine Botschaft verbreiten. Darauf verzichtete er und zog es vor, sein Leben mit der äußerst riskanten Aktion auf dem Tempelberg auf's Spiel zu setzen.

Die Kirche suchte verzweifelt nach einem Sinn für diese Entscheidung und kam zur dogmatisierten Ansicht, dass dies zur Erlösung der Menschheit geschehen musste. Wovon? Von der Erbsünde und der damit einhergehenden ewigen Verdammnis. Gott hat uns also geschaffen, damit wir in die ewige Verdammnis eingehen, und diesen göttlichen Fehler zu beheben, musste Gott einen Sohn mit einer Menschenfrau zeugen und diesen hinrichten lassen. Für Gott muss das schon starker Tobak sein, der ihm da zugemutet wird. Man kann von Religion halten, was man will, aber soweit sich das überblicken lässt, muss schon irgend eine Kraft am Werk gewesen sein, die das von uns erfassbare Universum entstehen ließ. Als Katholik kommt dafür nur eine Instanz in Frage: Gott. Natürlich war es Gott, denn Gott ist alles außerhalb unserer Vorstellungskraft. Wir können uns die Entstehung des Universums nicht erklären. Wir nehmen an, es gab einen Urknall und vielleicht kollabierte vor dem Urknall ein Universum zu einem Punkt, aber irgend wann muss ein erster Urknall gewesen sein und in den muss so unfassbar viel Energie geflossen sein, dass das Universum, vielleicht sogar Multiversen entstanden sind, letzteres entzieht sich unserer Wahrnehmung, aber neueste wissenschaftliche Erkenntnisse legen den Schluss nahe.

Der Mensch ist ständig einer Reizflut ausgesetzt, die scheint immer intensiver zu werden. Denn im Vergleich zu uns lebten unsere Großeltern in einer fortdauernden Fastenzeit. Aber der Mensch erlebt alles relativ und musste lernen, sich ständig anzupassen. Heute drängen Nachrichten, E-Mails, SMS ständig in den Fokus. Manchmal möchte man meinen, die gesamten Weltprobleme dringen ins Bewusstsein jedes Einzelnen. Da tun vierzig Tage Abschalten sicher mal gut, denn all diese Reize stumpfen ab. Hundert Morde der IS nehmen wir bedauernd zur Kenntnis und klicken weiter. Wohin führt das? Wenn wir ständig mit allem Leid der Welt konfrontiert werden, wird das Leid zur Normalsituation: "Ach heute nur 50 Dschihad-Tote, wie schön!" Dabei hat sich unsere Wahrnehmung nicht mit der Rasanz der Technik entwickelt. Vieles in uns funktioniert noch immer so, als würden wir in der Savanne Afrikas leben. Evolution hat den technischen Fortschritt nicht einkalkuliert. Deshalb wäre wohl die beste Art der vierzigtägigen Fastenzeit, sich komplett von der Informationsflut abzukoppeln und dann mal ganz mit sich alleine zurechtzukommen, selbst zu erfahren, wer man eigentlich ist.

Die Kirche hätte eine gute Ausgangsposition für so eine Selbstreflektion, aber sie nützt sie nicht, zumindest amtlich. Jeder Mensch hat große Sehnsucht nach Gott, denn jeder Mensch begreift seine Endlichkeit und stellt sich die Frage des Danach. Aber die Kirche hatte es in ihrer Zeit noch nie mit dem Phänomen der Entbehrlichkeit zu tun. Eine Kirche, die den Ansprüchen der heutigen Zeit nicht gerecht wird, ist entbehrlich. Was entbehrlich ist, verschwindet. Die Kirche diskutiert zur Zeit, ob die Scheibe auf der wir leben oval oder quadratisch ist. So kommt es mir manchmal vor. Sie diskutiert über Sexualethik auf einer Basis, der die Wirklichkeit unbekannt ist. Woher sollte sie auch das Wissen haben. Was hat sich die Kirche überhaupt in die Sexualität einzumischen, wo sie sie doch dem eigenen Personal verbietet. Man darf getrost voraussetzen, dass die Sexualvorstellungen der Kirche ziemlich verschroben sind. Alleine schon der Gedanke, das Sexualität, also die Triebfeder der Fortpflanzung, anrüchig schlecht ist, weist auf ein grundlegendes Problem der Kirche hin. Ich wage zu bezweifeln, dass die katholische Kirche während meiner Restlebenszeit aus ihrer mittelalterlichen Verdüsterung herausfindet, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Und so hoffe ich immer noch, dass ich eine Kirche erlebe, die Sonntagsgottesdienste so gestaltet, das man bereichert aus ihnen kommt, so wie ich das während meiner Jugend erleben durfte, als es noch rhytmische Messen gab und Hoffnung und Freude. Wer das heute erleben möchte, dem kann ich ruhigen Gewissens eigentlich nur Taizé empfehlen, dort kann man es zumindest spüren.