Mei heit ham mas ganz schlecht
Eine Wanderung im Mühlviertel
Das Mühlviertel ist zum Wandern fast ebenso geeignet, wie ein saftiger Schweinebraten zum Mittagessen. Während letzterer eine Gaumen- und vielleicht auch Augenfreude ist, erfreut das Mühlviertel Herz und Gemüt und wenn die Schuhe passen, auch die Füße und das körperliche Wohlbefinden.
Das Mühlviertel ist eine durchwegs wunderschöne Landschaft und es hat noch einen sehr reizvollen Vorteil: die Mühlviertler. Ein Menschenschlag, der vor allem eines ist, freundlich, mitteilsam und sehr gastlich.
Dem Mühlviertler genügt sein Mühlviertel, da ist er zufrieden. Von Norden schaut der mächtige Böhmerwald auf die Mühlviertler herab und beschützt sie so weit es geht vom strengen Ostwind, der als Böhmwind mit klirrender Kälte aus den Weiten Russlands über Böhmen heranströmt.
Der Böhmerwald ist eine sehr markante Grenze. Schon allein die Sprache könnte unterschiedlicher nicht sein. Aber auch der Menschenschlag ist diesseits und jenseits sehr unterschiedlich. Früher war die Gegend nördlich des Grenzkammes von Böhmerwäldlern besiedelt und es herrschte reger Austausch in allen Dingen. Das haben die kriegerischen Wirren des zwanzigsten Jahrhunderts gründlich geändert. Heute fahren viele Tschechen herüber, weil es Arbeit gibt und rüber fahren Schnäppchenjäger und Liebesbedürftige, aber Gott sei Dank auch Kunst- und Kulturinteressierte.
Nördlich der heimlichen Hauptstadt des Mühlviertels, beugt der Böhmerwald seinen buckligen Rücken ins Tal hinab, als wolle er näher bei den Menschen sein, oder er möchte sie vereint sehen, die drüberen und die herüberen. Aber gerade dort, wo das Zusammenkommen viel leichter ist, spürt man die Distanz erst, welche die Geschichte quer durch Europa gezogen hat. Es ist, als wäre der Eiserne Vorhang noch da. Da gibt es Orte, die so nahe an der Grenze liegen, dass sie vom Dorfplatz aus zu sehen ist und sie fühlt sich an, als wäre die Welt an ihr zu Ende.
Mitten durch dieses wunderschöne Land schneidet ein Asphaltband, über das unaufhörlich und mit einer Dichte, die absolut nicht in diesen beschaulich ruhigen Landstrich passt, Lastwagenkolonnen in beide Richtungen durchdonnern. Erst hinter dem nächsten Hügel wohnt wieder die Stille und Einsamkeit.
Schön wie die Landschaft sind auch die Namen. Feldaist, Maltsch, Eisenhut, Hussenberg, Kerschbaum, Hiltschen, Wullowitz. Sie belegen, wie eng das Verhältnis zwischen den Kulturen einst war und wie rege das Leben verlief. Ein Transitlandstrich, in dem der Reisende gerne Gast war, davon zeugen viele Gasthäuser mit großer Vergangenheit, die heute viel zu groß anmuten. Die Reisenden auf dem Asphaltband bleiben nicht mehr stehen, höchstens auf einen schnellen Kaffee, aber auch das nur, wenn sie nicht berufsmäßig unterwegs sind und das sind nicht viele. Die meisten nehmen von der Schönheit abseits der Transitstrecke höchstens flüchtig Kenntnis und eilen weiter.
Zaghaft versucht der Tourismus den Reiz dieser Traumlandschaft über die Grenzen hinaus zu tragen, aber die Braut stellt sich sehr verschämt zur Schau, glaubt nicht an die eigene Schönheit, für die sie werben soll. Sie hat ein anderes Ideal von Schönheit und dem entspricht sie nicht. Man kann Äpfel nicht für Birnen verkaufen. Wer Birnen mag, der soll auch Birnen bekommen, den Apfel wird er nicht schätzen, den schätzt aber der Apfelliebhaber umso mehr.
Es ist ein seltsames Ding, dass die Menschen immer schnell merken, was sie nicht haben und dabei ihre eigentlichen Reichtümer nicht erkennen. Wer Wellness, Luxus und mondänes Leben sucht, der ist woanders besser aufgehoben. Diese Gegend ist für einen anderen Gästeschlag gemacht, für Naturliebhaber, die Freude an vielfältiger Flora und Fauna haben. Eine Landschaft, die von der Landwirtschaft nachhaltig und mit Gespür gestaltet wird. Wo es auch Maisfelder gibt, aber der Mais noch Kukuruz heißt, der dort zwar angebaut wird, aber bei weitem nicht ausschließlich. Das nördliche Mühlviertel ist vor allem für den Besucher ein Schlaraffenland, der ursprüngliche Wirtshäuser und Mühlviertler Hausmannskost mag.
Da kann dem Wanderer aber schon mal zum falschen Zeitpunkt ankommen. So erging es zwei Wanderern, die sich am Tag der Deutschen Einheit just diese Gegend des Mühlviertels zum Wandern ausgesucht hatten. Nach zwei Stunden Wanderzeit führte der Weg in einen schmucken Ort, den die Wanderschilder zur Freude der beiden mit einem Besteck als perfekt für die Mittagsrast auszeichneten. Und wirklich waren auf dem Kirchplatz zwei behäbige Wirtschaften mit sichtbar bedeutender Vergangenheit. Wenn man die österreichische Gastronomie in Anspruch nehmen will, dann genügt die bayrische oder gar deutsche Restauranterfahrung nicht. Man sollte schon ein bisschen vorbereitet sein, will man mit dem Kellner oder Wirt auf Augenhöhe verkehren. Was ein Beuscherl, eine Frittatensuppe, was Paradeiser und was ein Verlängerter ist, darüber sollte man sich schon ins Bild setzen. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Gasthaus und Gasthof. Im Gasthof bekommt man auch ein Zimmer für die Nacht, wenn man es braucht. Danach sollte man im Gasthaus erst gar nicht fragen. Als einmal zwei Nordlichter in einem Gasthof beim Ober nachfragten, was denn eine Frittatensuppe sei, antwortete dieser verschmitzt: "aufgeschnittene Palatschinken".
Aber für unsere zwei Wandersgesellen war das alles kein Problem, als erfahrene Mühlviertelwanderer wussten sie sehr gut, was man von einem Wirtshaus erwarten konnte und was nicht, egal ob es nun ein Gasthof oder ein Gasthaus war. Da das eine Gasthaus ein paar Ruhetage eingelegt hatte, war die Wahl sehr eingeschränkt und damit schnell getroffen. Sie traten ein und setzten sich auf den zweiten Tisch, da der erste deutlich als Stammtisch ausgewiesen war und sich da hinzusetzen, geht nur auf Einladung oder ausdrückliche Anweisung des Wirts. Den gab es in diesem Gasthof seit einigen Jahren nicht mehr, nur sein Bild erinnerte an ihn. Aus der Küche, strömte intensiver Wurstkucheldampf, aus dem die Wirtin auftauchte und die Wanderer mit den Worten "mei heit ham mas ganz schlecht" begrüßte. Dem Dampf nach zu urteilen waren die Würste definitiv noch nicht verspeisbar und anderweitige Gerichte konnten aufgrund des Arbeitsaufwandes in der Wurstkuchl nicht zubereitet werden. Man kann das Fehlen einer Speisekarte als Mangel betrachten, aber es hat auch etwas authentisches, wenn es mal anders zugeht.
Den Hunger der zwei sehr wohl erkennend, rekapitulierte die Wirtin schnell die verfügbaren Möglichkeiten und entschied, dass die Leberknödel ausreichend fertig und für eine Suppe geeignet wären. Sie legte auch die erforderliche Menge auf zwei Knödel pro Person fest und wartete eigentlich nur noch auf Zustimmung. Eine Halbe Bier und ein großer Teller mit frischen Leberknödel in einer würzigen Suppe, die nicht einer Dose entstammte, das sind Gelegenheiten, die es eben nur gibt, wenn man in ein Land und seine Lebensweise eintaucht. Dass im Mühlviertel ein Bier ein halber Liter ist, macht es für einen Bayern außerdem sympathisch. Trotz der Wurstkuchl, die wohl noch einiger Arbeit bedurfte, ließ es sich die Wirtin nicht nehmen, den zweien Gesellschaft zu leisten. Von wem sonst sollte man neues erfahren, wenn nicht von Gästen und die Gäste brauchen auch Informationen, damit sie nicht nur den rechten, sondern auch den besten Weg finden. Wanderkarten wissen viel, Wirte aber viel mehr.
Satt und ausgeruht machten sich die zwei wieder auf ihren Weg durch's Mühlviertel. Ein Abstecher in die Kirche gehört obligatorisch dazu und ein Gang durch den Friedhof, damit man weiß, wie die Menschen hier heißen. Auch die schönen schmiedeeisernen Kreuze erzählen eine multikulturelle Geschichte des Mühlviertels.
Auf den Spuren einer Pferdeeisenbahn führte der Wanderweg bis zum nördlichsten Zipfel des Mühlviertels nach Wullowitz, das von der Bundesstraße durcheilt wird und der monotone Verkehrslärm braust rücksichtslos links und rechts die sanften Hänge hinauf, wo er sich verliert. Dahinter wartet wieder die Abgeschiedenheit des Mühlviertels auf die Wanderer und eine Traumlandschaft, in der man sich eigentlich nur wohlfühlen kann.