Schlederer
Um es gleich vorweg zu nehmen: einen besseren Namen verdient dieses Getränk gar nicht. Schlederer, das geht in die Richtung von Spülwasser, wobei Spülwasser meist gesättigter ist. Beim Schlederer wird mehr oder weniger 1/8 Wein auf verachtungswürdige Weise mit Wasser auf eine Halbe aufgespritzt. Bei diesem Verhältnis spielt die Qualität des Weins schon gar keine Rolle mehr. Genaugenommen wäre es um einen guten Wein richtig schade, eigentlich ein Sakrileg. Am besten nimmt man also einen sehr schlechter Qualität, der zum reinen Genuss nicht geeignet ist. Selbst wenn es um einen echten Schädelsprenger handelt, spielt das keine große Rolle, weil der Kopfschmerz nur mehr ansatzweise zu spüren ist. Einen Schlederer trinkt man, wenn man eigentlich Wein möchte, aber keinen trinken darf, also bestellt man ein Getränk, das entfernt an Wein erinnert. Früher nannte man das Pantschen und es gab Gefängnis dafür, heute bestellen sich so was die Gäste freiwillig, ja sogar absichtlich. Angesichts der zum Schlederer degenerierten Weinkultur ist es verwunderlich, dass sich die Winzer nicht reihenweise an ihren Weinstöcken aufhängen, wenn sie mitansehen müssen, wie ihrer hervorragenden Produkte misshandelt werden. Denn wenn jeder Schlederer saufen würde, wären ja wesentlich weniger Winzer erforderlich. Wie passt das in unsere Zeit, die von Reizüberflutung gekennzeichnet ist. Ständig werden wir via iPhone mit Informationen unwichtigster und nichtigster Natur vollgepflastert, dass man meinen möchte das wäre schon mit reinem Wein kaum zu ertragen. Die Glotzkiste entlädt in unser Hirn jeden Tag Unmengen von Leichen aus den Krisenherden der Welt dass es selbst bei einer selbstschützenden Verweigerungshalterung irgendwann modernd und stumpf durch die grauen Zellen wabert. Niemand fragt sich, wo denn eigentlich die guten Nachrichten bleiben und ob die weitgehende Einhaltung der Ausgangssperre in Kabul wirklich eine verwertbare Information für einen Durchschnittsdeutschen ist. Aber nichts scheint schlimmer, als keine Nachrichten, deshalb werden wir von Frühmorgens bis Spätnachts mit den Gräueln aus den Spannungsgebieten des gesamten Globus versorgt, bis wir sie zur Normalität des Alltags gehören. Und niemand wagt es, sich der Berieselung zu entziehen. Selbst beim Joggen sind die Ohren mit Musik zugestöpselt, weil die Naturgeräusche zu leise sind, weil wir das Leise gar nicht mehr ertragen. Was will man mit so einer katastrophenlosen Natur? Das ist ja todlangweilig. Nach fünf Kilometern auf dem Waldweg noch immer kein ausgebrannter Panzer. Nichts ertragen wir schwerer als das Nichts. Außer beim Essen und Trinken, da kann es nicht light genug sein. Wehe wenn sich da eine Kalorie in den Salat schmuggelt. Nach diversen „leicht“-Anschlägen auf Cola und Weißbier, hat es nun den armen Wein volle Breitseite erwischt. Genussverachtend wird er zu einem Schlederer verwaschen, einem spülwassergleichen nichts. Wenn es helfen würde, sollte man das Wasser in die Nachrichten schledern, aber das hätte das Wasser auch nicht verdient.