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Hinterfotzing

Weihnachtsfriede

Wie der Engel am Dachstuhl vorbeischrammte

Ja, du wirst es schon bemerkt haben, es weihnachtet, Weihnachtsfrieden und lauter solche nachhaltslosen Absichtserklärungen über Freude. "Ein Kind wird uns geboren!" Wie oft nun schon? Und immer zuckersüßer muss es sein, dieses Weihnachten. Der Advent ist hell erleuchtet, dass du den Pfad in die Einkaufstempel ja findest, wo du deine zinslosen Ersparnisse garantiert in Schenkfreude umwandeln kannst und damit den Strafzinsen auskommst. Ho, ho, ho! Ein kulturvermengter und entreligiösierter Adventsausruf des Nikolaus-Weihnachtsmann-Verschnitts. Es gibt ja viele Gründe, aus der katholischen Kirche auszutreten, aber muss man deshalb gleich den christlichen Glauben an den Nagel hängen? Das eine hat doch mit dem anderen immer weniger zu tun.
Für jemanden, der Besinnlichkeit und Ruhe sucht ist der Advent die denkbar verkehrteste Zeit. Drehst du das Radio auf, dann quillt es wie Zuckerwatte und Marzipangebäck heraus, das sogar das Ohrenschmalz wie süßer klebriger Honig vom Ohrläppchen tropft. Wie gut, dass man sich heutzutage die Musik aussuchen kann, halt nicht im Radio. Und man kann sie sogar ganz abschalten und ein Buch zu Hand nehmen. Ich liebe Bücher, ich mag die Welt, in die sie mich verzaubern. Ich mag auch Hörbücher, vor allem im Auto, weil mir dann die rote Ampel so was von egal ist und ich sogar auf dem Parkplatz noch im Auto sitzenbleibe, um das Kapitel fertig zu hören. Das ist für mich Entschleunigung. Das ist selbstgewählte Freiheit.
In Ruhe, Stille und Dunkelheit auf Weihnachten zu. Eine Dunkelheit, die nicht Angst macht, sonder alles verdrängt, Unwichtiges in den Schatten stellt. Diese Dunkelheit, die langsam von einer, dann  zwei, schließlich drei und vier Kerzen ins Licht findet. Das ist es. Advent, die Zeit des Zurückfindens zum Wesentlichen, zum Eigentlichen. Und dann Weihnachten, das große Licht, das Fest der Erinnerung an Christi Geburt. So wäre das richtig. So wäre das gut für uns. Die Macher und Einteiler des Jahres haben sich schon was dabei gedacht. Immerhin ist Weihnachten ganz knapp nach der Wintersonnenwende, wenn der Tag wieder zu wachsen beginnt. Langsam, sehr langsam zunächst aber beständig.
Es war Anfang Mai, Josef hat eine Baustelle in Tiberias übernommen. Eine neue Halle für den Fischmarkt. Ein guter Auftrag. Schon seit Anfang April ist er mit seinen drei Gesellen in Kapharnaum. Sie haben sich dort in einer kleine Gaststätte einquartiert. Ein gediegenes Gasthaus mit herzhaften Speisen, die nach einem langen Arbeitstag die Kraftreserven wieder auffüllen. Dazu ein Krug Wein, das Handwerkerleben ist hart, da darf man sich schon was gönnen. Die anfänglichen Probleme mit dem Baumaterial sind längst vergessen. Mittlerweile liegt bestes Zedernholz auf der Baustelle, wie Josef es verlangt hatte. Es ist immer das Selbe. Der Kosten willen verzichtet man auf Qualität. Das geht Josef schnell gegen den Strich. So eine Halle soll ja schließlich lange halten. Da ist die Zeder der Baustoff der Wahl. So war das auch von Anfang an vereinbart. Aber der Holzhändler versprach sich von billigen Kiefern, die er von einer Schiffsladung erworben hatte höhere Gewinne und machte dem Bauherrn das Holz schmackhaft. Dass es miserable Qualität mit Lagerschäden war, das erkannte erst Josef, als er sich die Baustelle vor Aufnahme der Arbeit ansah. Der Ärger war natürlich groß, denn auch der Bauherr hatte sich schon über die reduzierten Materialkosten gefreut. Als Josef ihm aber schließlich mit Annulierung des Vertrags drohte, sah er den Fehler ein und einigte sich mit dem Holzhändler unter Hinweis auf Folgeaufträge darauf, die mangelhafte Ware durch bestes Zedernholz auszutauschen. Dass die Kiefern Kapharnaum nicht mehr verließen, sondern ein anderer Bauherr über's Ohr gehauen wurde, das  ist eine andere Geschichte. 
Als Josef mit seiner Mannschaft Anfang April in Kapharnaum ankam, war alles zu seiner Zufriedenheit und sie begannen mit der Arbeit. Der April war trocken uns so ging das Abbinden der Halle zügig von der Hand und im Mai stand der Bau. Jetzt wirst du sagen "im Mai!, den gab's doch damals noch gar nicht", stimmt, aber wie soll ich dir sonst die Zeiträume nahebringen? Und so macht es die Geschichte für Zentraleuropäer christlicher Prägung greifbarer. Jedenfalls saßen sie in der zweiten Maiwoche im Gasthaus und feierten den fertigen Bau. Nur Josef saß still abseits, stierte auf sein Handy und kippte einen Schnaps nach dem Anderen hinter die Binde. Seine glasigen Augen stierten das schwarze Display an. Immer wieder schaltete er es ein. "Liebster Josef! Ich hatte letzte Woche einen Alptraum oder war es wahr, ich bin ganz durcheinander. Habe ich es erlebt oder nicht. Ja, ich habe es erlebt, ich muss es erlebt haben. Jedenfalls drang eine unheimliche Gestalt in mein Zimmer ein, ich hatte so schreckliche Angst und schrie wie eine Wahnsinnige, doch kam kein Laut über meine Lippen und die Gestalt packte mich ganz fest und drang schier durch mich hindurch. Ich fühlte das Wesen überall, um mich und in mir, bis ich das Bewusstsein verlor. Ich weiß nicht wie lange, als ich zu mir kam, spürte ich, dass sich etwas verändert hat. Ich fühle es im Bauch, da ist etwas und es bewegt sich. Josef, ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte komm, komm schnell, sonst werde ich wahnsinnig." 
Er hatte es für eine Räuberpistole gehalten. Einer der Hilfsarbeiter wollte vor drei Wochen einen menschenähnlichen Vogel gesehen haben, der am First des Neubaus entlangschrammte und einen gellenden Schrei von sich gab. Simon hieß er, ein feuchter Geselle, der so manches im Suff sehen mag. Auch auf der Baustelle war er selten trocken. Eigentlich hätte er ihn entlassen müssen, so einer bringt nichts. Aber das gute Herz halt und weil alles so gut von der Hand ging. Aber nun? Er mochte Maria, sie war ein so lebenfröhlicher Mensch, wenn er kam, sang sie voller Freude. Sie tanzte mir ihm über den Hof und sang dazu. Nie hatte er so ein Mädchen kennen gelernt. Aber nun, nun hatte sie etwas im Bauch. Was könnte ein Mädchen schon im Bauch haben, das sich bewegt?! Er war so tief verletzt, so unendlich tief. Und dann diese dämliche Geschichte. Wie konnte sie im das antun und mit wem und wie lange schon? Wenn es sich schon bewegt. Er wusste nicht, ab wann man ein Kind spürt, wollte es nicht wissen. Noch ein Schnaps. Maria! Warum? Es war doch alles gut. Es hat sich doch alles so schön angefühlt. Er hat sich doch schon so sehr auf die Heimreise gefreut, auf ihr Wiedersehn, ihren Körper spüren, ihre Liebe. Wie konnte da Platz für jemand anderen sein? Wie nur?
Seine Gesellen brachten ihn bewusstlos ins Bett. Die Welt drehte sich, dann wurde sie schwarz. War es schon Morgen? Wie konnte es jetzt schon hell sein. Außerdem hatte er die Augen geschlossen. Er schien wach und doch war er weit weg. Ein unendliches Licht war um ihn, hob ihn in hoch und durchdrang ihn, als wäre da keine Haut und kein Fleisch. Er schien komplett zu leuchten. Das Licht fegte seinen Rausch hinweg, seine düsteren Gedanken und mit einem mal schwebte er im Überall und sah die ganze Erde. Das Meer, die Berge, Jerusalem, dann einen König. Nein, ein Kind mit einer Krone und Maria, die es im Arm hielt und eine große Schar von Menschen, die um einen Menschen standen. Und da begriff er. Da wusste er, welch Unfassbares sich in Marias Schoß regte. Er wurde von dieser leuchtenden Energie ergriffen und selbst als sie verschwand fühlte er sie in sich und mit ihr die Gewissheit, dass Maria für eine sehr große Aufgabe bestimmt war und dass er daran teilhaben würde. Trotzdem erwachte er mit einem fürchterlichen Kater. Aber er war nicht mehr der selbe. Alle Zweifel waren hinweg gefegt und er freute sich darauf, mit Maria auf dieses große Abenteuer.
Als Simon am letzten Tag seinen Lohn erhielt, traute er seinen Augen nicht und Josef drückte ihm die Hand, weil er wusste, dass auch Simon es sehen durfte.