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Hinterfotzing

kultureller Wiesnausflug

Ein sing- und trinkfreudiges Ereignis

Just passend zum Oktoberfestbeginn machte sich der Liederkranz Hinterfotzing auf den Weg nach München zu einem Sängerfest. Es war ein großes Fest und der gastgebende Chor hat die halbe Stadt mobilisiert. In eine Stadt eingeladen zu werden, das war schon eine große Ehre für den Liederkranz.
Zwar war es nicht die Landeshauptstadt, aber wenigstens in Kilometern nur knapp daneben. Im Vergleich zu Hinterfotzing auf alle Fäll unheimlich bedeutender. Deshalb hatte sich der Vorstand, Sigi Brampftl mit großer Begeisterung an die Vorbereitungen gemacht. Schon eine halbes Jahr im Voraus plante Brampftl minutiös die zwei Ausflugstage, denn so eine Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage und dann wollte man schon über’s Wochenende verreisen.
Damit die Sänger, deren Häupter – wenn überhaupt noch – überwiegend ergraut bedeckt waren sich den Ablauf der Reise einprägen konnten, klärte sie Brampftl ab Mai bei jeder Chorprobe über den exakten Reiseplan auf. Und das war ein ehrgeiziger Plan. Denn Brampftl pflegt Rituale und so ein Ritual kannte er aus weit zurückliegenden Jugendtagen. Wenn er da nach München kam, musste ein Weißwurstfrühschoppen beim Schneiderbräu unbedingt der Auftakt sein. Und um 9 Uhr gibt es die besten Weißwürste, zumindest war das in Jugendtagen so.
Wenn man aber um 9 Uhr vor dem Weißwurstkessel sitzen will, dann schlägt sich das gewaltig auf die Aufsteh- und Wegfahrzeit in Hinterfotzing nieder, das, wie wohl jeder weiß, eine ganz schöne Strecke von der Landeshauptstadt und damit dem Schneiderbräu und dem Weißwurstkessel entfernt liegt. Aber Ritual ist Ritual, da hilft nichts und so wurde die Abfahrtszeit von Brampftl rigoros auf nachtschlafende Zeit festgelegt.

Nicht weniger eifrig nahm sich Chorleiter Ottfried Schiffler des Ausflugs bzw. den Gesangsdarbietungen beim Sängerfest an. Da wurde geprobt, was das Zeug hält. Schiffler wählte das Liedgut selbst aus, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass ihm die selbstausgewählten Lieder besser gefallen, als wenn die Sänger wieder mal bar jedem Kunstverständnis einfach nach Gusto nach den Notenblättern greifen. Heraus kam ein buntes Sammelsurium an diversen Stilrichtungen, dem wohl nur ein absolut Eingeweihter einen Zusammenhang entlocken konnte. Aber so ist das halt mit Chorleitern, meist verkümmert das Demokratieverständnis zugunsten des Musiktalents. Und sich nach den Vorstellungen des Publikums zu richten, so weit käme es noch. Jedenfalls lernte der Liederkranz das erforderliche Repertoire ausreichend gut und selbst Schiffler machte eines der seltenen zufriedenen Gesichter.

Dann kam endlich der große Augenblick der Abreise. Verschlafene Gesichter grüßten sich matt auf dem stockdunklen Dorfplatz von Hinterfotzing. Brampftl war schon wieder voller Elan, wohl in Erwartung der rituellen Weißwürste. Er zählt die Sänger rauf und runter, kam aber nicht auf das gewünschte Resultat. Während manche pünktlich auf den Schlag der Kirchturmuhr in den Bus stiegen, glänzte der Kerndl Willi durch dauerhafte Abwesenheit. Da half auch kein Anrufen, der Willi war nicht wach zu kriegen, also musste der gesamte Bus zum Kerndl fahren und das Haus aus dem Dornröschenschlaf reißen. Das half und der Willi stand irgendwann verdattert im Schlafanzug und mit noch ausgeschaltetem Verstand in der Haustür. Manchmal wäre es praktisch, wenn neben der Haustür ein Eimer mit kaltem Wasser deponiert wäre, denn damit wäre der Willi wohl schneller aus Schlummerland gekommen. Irgendwann schaffte er es aber doch, in Reisekleidung, seinen Koffer im Schlepptau, in den Bus zu steigen, da fing aber auch der Morgen schon an zu grauen.

Ohne weitere Verzögerungen ging es nun in busmöglicher Geschwindigkeit in die bayerische Metropole zu den 9 Uhr Weißwürsten, die dann – auch das gehört zum Ritual – mit Weißbier entsprechend eingeschwemmt wurden. Damit der Magen nicht so zwickt, machten sich die Sänger unter Leitung vom Brampftl auf zur Münchner Touristenmeile rund um die Frauenkirche. Eine Strecke, die man auch mit Hühneraugen schmerzfrei bewältigen kann.
So erreichten alle problemlos wieder den Bus, mit dem es ins Hotel ging. Eigentlich wäre noch ausreichend Zeit für viele Besichtigungen gewesen, aber die gehören beim Brampftl Sigi nicht zum Ritual, deshalb überließ er die Sänger dem Hotel mit den umliegenden Sehenswürdigkeiten, letztere waren bei genauer Betrachtung nicht vorhanden. Aber so konnten die Augen gepflegt und die geraubten Nachtstunden ein wenig nachgeholt werden. Dann ging es zum großen Fest.
Dass es etwas so großes außerhalb von München gibt, überraschte den Liederkranz und so fanden sie den Veranstaltungssaal erst nach einigem Suchen und mit fremder Hilfe. Und da staunten sie, was sich so eine Stadt alles leisten kann, wo es doch in Hinterfotzing hinten und vorne zwickt, zumindest finanziell, denn die Landschaft, das konnte man sofort sehen, die ist in Hinterfotzing schon bei weitem schöner. Und als sie den Saal betraten, da leuchteten die Augen tränennass. Dass es so etwas Schönes heutzutage noch gibt, wo man sich in Hinterfotzing nicht einmal einen leeren Saal leisten kann.
Lange standen sie da und brachten vor Staunen den Mund nicht zu. Aber Ottfried Schiffler machte ihnen bald Beine und befahl sie auf die Bühne. Als endlich alle so standen, wie Schiffler es haben wollte und die Probe begann, da standen Schiffler die nicht mehr vorhandenen grauen Haare zu Berge. „Ihr stellt euch ja an, als hätten wir das noch nie gesungen!“ war eine der milderen Beschimpfungen. Aber es half nichts, entweder fehlte der Text, oder der Ton irritierte umher.
Irgendwann klappte es so einigermaßen und Schiffler beendete die Generalprobe resigniert. Vielleicht müssen Generalproben so sein, dachte er und ging mit hochrotem Kopf den anderen hinterher zur Brotzeit, welche die Gastgeber in reichlicher Menge aufgebaut hatten. Mit ein paar Bier singt es sich leichter, dachten sich die Sänger und ließen sich fleißig nachschänken. Gut gelaunt ging es auf den Festabend zu.

Ein voller Saal bewies, wie sehr der gastgebende Chor in seiner Stadt geschätzt wird. Nach einigen Liedern der Gastgeber kamen die Hinterfotzinger an die Reihe. Wie bei der Probe einstudiert, marschierten sie im Gleichschritt auf die Bühne, als würde auf einer Galeere die Trommel geschlagen. Rechter Fuß großes Bumm.
Mit maximal möglicher Schneidigkeit eroberte der Liederkranz die Bühne. Und dann ging es auch schon los. Das erste Lied war einfach und laut, beides Eigenschaften, die dem Liederkranz sehr liegen. Es klappte vortreffliche. Aber beim dritten Lied, einer ugurischen Volksweise, war der Ton einfach nicht zu treffen, Schiffler stimmte zu tief an (was er niemals zugeben würde), dann fielen die Sänger ins Bodenlose um fast zwei Töne nach unten, dass die Bässe nur mehr heiser brummten und die Tenöre in entspannter Tonlage singen konnten, während sie in die versteinerte Mine Schifflers blicken mussten.
Gott sei Dank klappten die weiteren Darbietungen hervorragend und Schifflers Züge lockerten sich, so dass man fast ein Lächeln erkennen konnte. Die Gäste indessen waren restlos begeistert und spendeten stürmischen Beifall. Bei Bier und ganz unritueller Gulaschsuppe klang der Abend im Kreis aller Sänger aus Nah und Fern gemütlich aus.

Dass dieses Konzert mit dem Auftakt des Oktoberfestes zusammenfällt, das hat Sigi Brampftl schon sehr früh erkannt und da er ein begeisterter Oktoberfestler ist, wollte er auch den Liederkranz an seiner Vorliebe teilhaben lassen. Also ging es am Sonntag auf die Wiesn.
Mit einer Million anderer Gäste wurden die Sänger von der Hackerbrücke auf die Wiesn geschoben, wer den Weg nicht kannte, brauchte sich keine Sorgen zu machen, denn das ist wie in einen Fluss zu springen. Auf der Wiesn verteilt sich der Strom in die großen Bierhallen, wo es vor allem laut und teuer zugeht. Am einfachsten ist die Wiesn zu ertragen, wenn man sich vorstellt, die Scheine im Geldbeutel sind nur Zettel mit Nummern drauf und wenn die Bedienung kommt und eine Nummer sagt, dann gibt man ihr einen Zettel mit der nächsthohen Nummer. Alles, was man auf der Wiesn bekommen kann, hat eine relativ hohe Nummer. Selbst die typische große Breze trägt schon eine Fünf. Beim Bier steht meist schon zehn drauf und eine Käseplatte hat die Nummer siebenunddreißig, wofür man aber dann zwei Zettel mit Nummer 20 hergeben muss.
Aber das macht den Leuten nichts aus, sie versuchen möglichst viel Bier mit Nummer 10 in sich hineinzuschütten, weil das macht so ein Fest erst schön und man kann damit auch angeben.
Auf dem Fest sind nämlich viele Gäste von sehr weit her und die haben keinerlei Erfahrung mit den Bierkrügen, die in Bayern einen Liter fassen. Ein Bayer kann die Wirkung eines Liters Bier in etwa einschätzen, der Nichtbayer kann das nicht. Was aber auch den Bayern nicht davon abhält, mehr zu trinken, als das Bewusstsein verträgt.

Zentral über der Wiesn steht eine große Statue, das ist die Bavaria, ihr zu Füßen schlafen unzählige Gäste ihren Rausch aus. Manche übergeben sich, was die Bavaria stoisch über sich ergehen lässt. Gut: über sich nicht, denn so hoch kann keiner kotzen.
Am späten Nachmittag ändert der Strom seine Richtung, nun geht es von der Wiesn zur Hackerbrücke. Im Gegensatz zum morgendlichen Strom, führt der Strom zurück viel menschliches Treibgut mit sich, das er auf Bänken, in Grünanlagen und unter Büschen ablagert. Niemand weiß, wann sie wieder zu sich kommen. Auf alle Fälle dürften sie an den Spätfolgen relativ viel Freude haben.
So war auch der Bus der Hinterfotzinger Liedertafel zum Teil mit Treibgut gefüllt und auf der Heimfahrt ungewöhnlich still. Brampftl ließ es sich nicht nehmen, eine Dankesrede über das Busmikrofon zu lallen, bevor er wieder selig im Sitz versank und von der schönen Wiesn weiterträumte.